Ist Sport die beste Medizin?

„ Dorthin zurück zugehen, wo man mit Sport begonnen hat, ist nicht das Gleiche wie nie hinzugehen.“

                                   Terry Pratchett, englischer Schriftsteller

1. Juni 2024

Eine ziemlich unpräzise Überschrift. Genauer wäre: Ist körperliche Aktivität die beste Medizin – ohne Beipackzettel mit kaum Nebenwirkungen? Ist Bewegung ein Wundermittel?

Klare, wissenschaftlich fundierte Antwort: Ja! Unter Belastung schütten die Muskeln als größtes endokrines Organ unseres Körpers hormonähnliche Botenstoffe aus – die Myokine. Diese leiten im ganzen Körper äußert günstige Wachstumsprozesse ein und wirken entzündungshemmend.

Da der arbeitende Muskel Sauerstoff braucht, erhöhen sich bei körperlicher Aktivität Atem- und Herzfrequenz. Der Blutdruck steigt. Diesen zu regulieren, ist für unseren Organismus nur möglich, wenn die Wände unserer Blutgefäße elastisch genug sind. Gute Nachricht: körperliche Aktivität hält sie elastisch. Die Kapillaren des Herzmuskels (und aller anderen Organe) werden besser durchblutet – wir bleiben gesund und leistungsfähig. Um das zu erreichen, genügt ein moderates Training dreimal wöchentlich von 30 bis 60 Minuten.

Wer sich regelmäßig bewegt, signalisiert seinem Körper, dass er mehr Energie benötigt – und auf diese Nachfrage reagiert der Körper: Die Durchblutung und die Sauerstoffversorgung werden im gesunden Organismus angeregt – auch die Bildung von Vitamin D, wenn man sich im Freien bewegt. All dies hat auf die Alterungsvorgänge einen günstigen Effekt.

Unser wichtigster Energiespender ist das Adenosintriphosphat, kurz ATP. Es ist das körpereigene „Benzin“, das in den Minikraftwerken der Zelle, den Mitochondrien, hergestellt wird (siehe weiter unten), mit dem der Energiebedarf aller unserer Zellen gedeckt wird.

Unser Körper produziert das ATP, indem er Zucker und Fette quasi „im Fegefeuer des Sauerstoffs“ verbrennt. Deswegen brauchen wir genügend Sauerstoff, was wir durch sportliche Betätigung spielend erreichen. Trainieren wir richtig – d.h. nicht zu viel und nicht zu wenig – bleibt unser Körper im aeroben Bereich. Das bedeutet: unsere Organe werden optimal mit Sauerstoff versorgt – die ökonomischste Form von Energiegewinnung.

Weitere Vorteile: Körperliche Aktivität stimuliert unser Immunsystem. Dieses empfindet körperliche Aktivität als Stress. Ich meine damit positiven Stress. Indem unser Immunsystem belastet wird, trainiert es seine Abwehr. So reduziert z.B. moderates Ausdauertraining das Risiko, an Krebs zu erkranken, deutlich. Denn eine starke, intakte Abwehr erkennt entartetet Zellen und geht spezifisch gegen sie vor.

Sport schützt weitgehend, aber leider nicht alle Sporttreibenden, vor entarteter Zellteilung, weil er den Zellen eine Art „Hungerzustand“ vortäuscht. „Hungernde“ Zellen entsorgen verbrauchte Bestandteile schneller und effizienter – was man Autophagie nennt.

Die Autophagie ist ein Reinigungs- und Recyclingprogramm unser Zellen, bei dem defekte und abgestorbene Zellen entsorgt und neue Zellstrukturen aufgebaut werden – ein evolutionsbedingter Selbsterhaltungsmechanismus des Körpers, der verjüngend wirkt und gesund erhält. 

Ist die Autophagie beeinträchtigt, werden defekte Zellen nicht mehr vom Körper beseitigt und führen zu „zellulärem Müll“. Degeneration, Stoffwechselprobleme und vorzeitiges Altern sind die unausweichlichen Folgen.

Aktivität und Training fördern auch die mitochondrale Gesundheit. Die Kraftwerke unserer Zellen, die Mitochondrien, bleiben nicht nur fit, es werden sogar neue Kraftwerke in den Zellen gebildet.

Zu wenig Bewegung bedeutet nun mal: weniger Muskeln, mehr Fett. Ein zu hoher Fettanteil im Körper ist die Hauptursache für Allergien, schleichende Entzündungen, (die berühmte „silent inflammation“, wie sie international genannt wird), Krebs und Diabetes. Arbeitende Muskeln entziehen der Blutbahn nämlich Zucker. Ist die Muskelmasse zu gering, erhöht sich der Blutzuckerspiegel. Zuviel Zucker verändert den Gehirnstoffwechsel massiv und erhöht das Risiko für Demenz und Alzheimer, degenerative Gehirnprozesse, die neuerdings als eine Art Diabetes Typ 3 bezeichnet werden. 

Auch intakte Gelenke und gesunde Knochen hängen am Tropf der Bewegung! Unterforderung führt zu Arthrose und Osteoporose. Knorpel und Knochen erneuern sich permanent – aber dafür brauchen sie Belastung.

Besonders wichtig werden Muskeln in den Wechseljahren, weil dann der Schutz durch die Östrogene wegfällt. Dem können Frauen durch Muskeltraining entgegenwirken und dadurch die altersbedingten degenerativen Veränderungen abblocken. 

Altern ist ein ganz normales zum Leben gehörendes Phänomen, hat aber Effekte wie eine Krankheit. Eine Studie der Universität Yale zeigt, dass Menschen, die dem Älterwerden entspannt und mit Resilienz entgegensehen, die das Älterwerden als einen natürlichen und interessanten Reifungsprozess betrachten, im Schnitt eine Lebensverlängerung von 12 Jahren haben. Ihre Gehirne weisen weniger degenerative Prozesse auf und ihre Herzen sind gesünder. 

Körperliche und geistige Unterforderung ist genauso schlecht wie Überforderung. Die Dosis macht das Gift. Und das können wir sowohl in die positive wie auch in die negative Richtung steuern: mit ausgewogener Ernährungkörperlichen Aktivität, regelmäßigen sozialen Kontakten, ausbalancierter Psyche und ausreichend regenerierendem Schlaf.

P.S: Herzlichen Dank an Ingo Froböse, Professor für Prävention und Rehabilitation. Er hat mir wertvolle Anregungen gegeben. Dank auch an meinen Bruder Dr. Hanno Kolbe, der mehrere Jahre lang in den USA an der Thematik „ ATP“ geforscht hat.  

Ihr Dr. Hansheinrich Kolbe

Facharzt für Gynäkologie, Geburtshilfe und Präventionsmedizin

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