KRIEG ODER FRIEDEN

März 2022

Napoleon wusste es: „Die Politik ist das Schicksal“  –  das soll er am 2. Oktober 1808 zu Goethe gesagt haben. Gut 100 Jahre später setzte der deutsche Politiker und Industrielle Walther Rathenau  einen anderen Akzent, der bis heute viel Sympathie genießt: „Die Wirtschaft ist unser Schicksal.“ Und nochmals 100 Jahre später behaupte nicht nur ich: „Das Wissen ist unser Schicksal.“

Womit sich automatisch die Frage aufdrängt: Können wir Menschen unser Verhalten zum Positiven, Richtung wissensbasierter Vernunft, ändern, oder wiederholt sich die Geschichte endlos und die Menschheit ist auf ewig verurteilt, immer die gleichen Tragödien zu durchleiden?

Was diese essentielle Frage betrifft, gibt es zwei Denkschulen: Die eine behauptet, in der Welt herrscht das Gesetz des Dschungels– die Starken nutzen die Schwachen aus. Und wer nicht an dieses Gesetz glaubt, setzt seine eigene Existenz aufs Spiel – er wird nicht lange überleben.

Die andere Denkschule argumentiert, das sogenannte Gesetz des Dschungels ist gar kein Naturgesetz. Der Mensch hat es erfunden, der Mensch kann es also auch ändern. Im Gegensatz zur Schwerkraft  ist Krieg kein fundamentales Naturgesetz. Dieses Thema habe ich in meiner Januar-Kolumne ausführlich erörtert.

Im 21. Jahrhundert hat sich die Weltwirtschaft von einer materialbasierten zu einer wissensbasierten Ökonomie entwickelt. Waren einst Goldminen, Weizenäcker und Ölfelder die wichtigsten Quellen des Wohlstands, so ist es heute das Wissen. Dieser Paradigmenwechsel hat zu einem grundlegenden Umbruch im globalen Denken geführt.

Die meisten Regierenden sehen Angriffskriege nicht mehr als ein akzeptables Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen an. Bis vor einigen Tagen haben sich fast alle Regierungen überall auf der Welt sicher gefühlt, um im Schnitt lediglich etwa 4 bis 6 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für ihre Armeen auszugeben. Stattdessen wurden die Budgets für Bildung und Gesundheit deutlich erhöht, eine neue Weltordnung, die auf wundersame Weise wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität zu verbinden schien.

Wir in Deutschland sehen das vielleicht als selbstverständlich an – doch es handelt sich um ein erstaunliches Novum in der Menschheitsgeschichte. Jahrtausende lang waren die Militärausgaben der mit Abstand größte Posten im Haushalt eines Fürsten, Sultans, Kaisers oder Führers – sie gaben kaum einen Cent für Bildung oder medizinische Hilfe für die Bevölkerung aus.

Das Aus-der-Mode-Kommen der Kriege ist also nicht das Ergebnis eines göttlichen Wunders oder eines Wandels der Naturgesetze. Er ist die Folge von Entscheidungen, die von intelligenten Menschen bewusst getroffen wurden, und die wohl größte politische undmoralische Errungenschaft der modernen Zivilisation. Bedauerlicherweise bedeutet die Tatsache, dass die Entwicklung auf menschliche Entscheidungen zurückgeht, auch dass sie reversibel ist, wie wir es seit einigen Tagen erleben, ein Denkfehler-Dino aus einer alten bipolaren Welt. Ein Krieg durchkreuzt praktisch alles, was wir uns vorgenommen haben – die Klimaziele vorneweg.

Historisch gesehen sind diese metaphysischen, also nicht rationalen Begründungen für politisches Handeln uns noch vertraut: So überfiel Nazi-Deutschland nahezu alle über-fallbaren Länder und brachte Abermillionen Menschen um, damit die kostbare deutsche Rasse mehr Lebensraum erhalte.

Ja, das ist alles ein bisschen her. Aber erinnern wir uns nur an einige US-Präsidenten, an Politiker in Peking, Pjöngjang und Ankara und an einen deutschen sozialdemokratischen Ex-Kanzler, bei denen das Irrationale und ein handlungsleitender Obskurantismus und Extrem- Egoismus auch in einem aufgeklärten Zeitalter nach wie vor heimisch sind. 

Diese Form der metaphysischen Indentität, eine Weltsicht, die für uns aufgeklärte Menschen im Westen kaum nachvollziehbar ist, ersetzt in diesen mittelalterlich konfigurierten Gehirnen die Religion. Diese anachronistischen Diktatoren hängen einem säkularen Glaubensbekenntnis an, einer nationalistischen, sehr diesseitigen Religion, in der völker- und zivil-rechtlichen Argumente inexistent sind.

Aber selbst, wenn man alle Konfliktarten berücksichtigt, sind in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts weniger Personen durch menschliche Gewalt ums Leben gekommen als durch Krankheiten aufgrund von Adipositas und Couchpotato-Lifestyle. Schießpulver ist weniger tödlich als Zucker!  Howgh – der Präventionsmediziner hat ge-sprochen.

Dr. med. Hansheinrich Kolbe

Facharzt für Frauenheilkunde, Geburtshilfe

und Präventionsmedizin

P.S.Die beiden intelligentesten Persönlichkeiten auf unserem wunderschönen blauen Planeten, Jacques Attali und Yuval Noah Harrari, haben mich gedanklich beim Verfassen dieser Kolumne unterstützt. Merci und toda.   

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert