WER IS(S)T SCHON GESUND? Der Einfluss des Matrixfaktors auf unserer Ernährung

Ich kann es nicht mehr lesen bzw. hören: es gibt kaum noch ein Blättchen im deutschen Blätterwald – von Bild der Frau bis zur FAZ und der Gala – das uns nicht mit „Empfehlungen für gesunde Ernährung“ überfällt. Im Radio, in unzähligen TV-Koch-Shows und Werbespots sowie in zahllosen Kochbüchern wimmelt es von Ratschlägen, wie man sich ernähren soll. Auch Dr. Google ist mit von der Partie – nur: etwa ein Drittel der Ratschläge im Netz ist Nonsense! 

Die Palette unserer Lebensmittel war noch nie so reichhaltig und vitaminreich wie heutzutage; gleichzeitig gab es noch nie so viele Menschen, die geradezu religiös-fanatisch verschiedene Verzichtserklärungen, Diäten und Sonderformen der Ernährung als richtig propagieren. Sogar Wissenschaftler scheinen sich gegenseitig in der Aussage über optimale Ernährung zu widersprechen.

Meine Frage an Sie lautet: Hat unser Essen so viel Dissonanz und Irrationalität verdient? Und wo bleiben da eigentlich noch der Spaß und der Genuss am Essen?

Sie, meine liebe Leserinnen und Leser, ernähren sich natürlich gesund und ausgewogen. Halt! Ich muss Sie uncharmant enttäuschen: Nicht wenige von Ihnen leben und denken kuli-narisch in einer Welt, die eine bunte, unübersichtliche Mixtur von Wahrheiten, Halbwahrheiten, Unwahrheiten und Ernährungsmythen ist. Leider! 

Drastischer gesagt: Etwa ein Zehntel der Menschheit leidet an Hunger – und der Rest stopft zu viel und das Falsche in sich hinein. Stammt nicht von mir, sondern ist eine sehr umfangreiche Analyse, die kürzlich im seriösen Fachmagazin Lancetveröffentlich worden ist. Jeder fünfte Todesfall weltweit geht nach dieser Studie auf Kosten schlechter und unaus-gewogener Ernährung; sie fordert somit mehr Tote als jeder andere Risikofaktor.

Nur ein Beispiel aus der Flut zahlreicher Ernährungsmythen: Jahrzehntelang wurde von mit allen wissenschaftlichen Pseudowassern gewaschenen Hobby-Ernährungsexperten propagiert, dass es gesund sei, sich möglichst fettarm zu ernähren – das berühmten „Fat free“ der US-Amerikaner. Unser Körper aber braucht Kalorien. Bekommt er die bei fettreduzierter Ernährung nicht in ausreichender Menge, holt er sich die Kalorien aus den Kohlenhydraten – und das macht richtig dick und krank! Was dazu geführt hat, dass die Menschen auf der Nordhalbkugel unseres wunderschönen blauen Planeten Milliarden Kilo an Fett zugenommen haben und das „Metabolische Syndrom“,das tödliche Quartett von abdominaler Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Störungen im Fettstoffwechsel und Insulinresistenz – der größte Risikofaktor für die Erkrankung der arteriellen Blutgefäße  wie Herzinfarkt und Schlaganfall – zur Nummer eins der hausgemachten Gesundheitsstörungen avanciert ist. 

Wo liegt der Fehler? Ganz einfach: die selbsternannten „Ernährungswissenschaftler“ unter- scheiden nicht zwischen gesunden(ungesättigten) Fettsäuren und mehr oder weniger ungesunden(gesättigten) Fettsäuren. Die „guten Fette“ sind Ausgangsstoffe zur Bildung von Gewebshormonen, spielen eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung, der Infektabwehr sowie bei der Prävention entzündlicher Prozesse („silentinflamation“) und der Funktion der Nervenzellen. Sie transportieren die Vitamine A, D, E und K (Eselsbrücke: edeka), heben bei vielen Speisen den Eigengeschmack angenehm hervor und tragen dadurch als Geschmacksverstärker zum Genuss beim Essen bei – ein kleiner, aber nicht unbedeuten-der Teil dessen, was man glücklich leben nennt.

Und wo liegt die Problematik, dass wir so mies und irreführend über unsere Ernährung informiert werden? Das hat u.a. zwei Gründe: Einmal sind wissenschaftlich korrekte, evidenzbasierte Studien wegen der Komplexität unseres Lifestyles schwierig durchzu-führen… und sehr teuer. Deswegen ist die weitaus überwiegende Zahl der Studien nicht verwertbar – man kann sie vergessen.

Zweitens: die ideale, gesunde Ernährungsform für alle gibt es gar nicht! Nahrungsmittel, die als gesund angesehen werden, können für manche Menschen eher ungünstig sein. Um herauszufinden, wie sich eine bestimmte Person am besten ernähren sollte, sind die Gene nur zu einem kleinen Teil – etwa 5 bis 10 Prozent – ausschlaggebend. Für eine personalisierte Ernährung analysieren wir Präventionsmediziner daher Ernährungs-gewohnheiten, körperliche Merkmale, sportliche Aktivitäten, Darmbakterien (Mikrobiom) und individuellen Stoffwechseleigenarten unserer Patienten. Nur so ist es möglich, eine maß-geschneiderte Ernährungsoptimierung zu erreichen, und das Risiko zu erkranken reduzieren.  

Und noch etwas Interessantes an wissenschaftlichen Erkenntnissen: Ein dem Idealen nahe-kommendes Food-Konzept ist das ketogene Ernährungsprinzip – im Fachjargon LCHF (LowCarb High Fat). Für die Experten unter Ihnen: verwechseln Sie es nicht mit der Atkins-Diät, die schon lange out ist.Ernährt man sich slowoder low carb, spielt der Matrix-Faktor der verwendeten Lebensmittel eine große Rolle. So wissen wir z. B. seit einigen Jahren, dass Vitamine ihre günstigen Wirkungen, was unseren Stoffwechsel betrifft, besser im Zusammenspiel mit sekundären Pflanzenstoffen entfalten, was man bei der isolierten Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln beachten sollte. Das Vitamin C in einer Orange, das Lycopin in der Tomate, das Beta-Carotin in der Karotte, das Resveratrol in der roten Weintraube und das Quercetini m Fenchel, Grünkohl oder in der roten Zwiebel ist für unsere Gesundheit wesentlich wertvoller als in Extrakten der Nahrungsergänzungsmittel. Noch einfacher: Essen Sie täglich einen Apfel– das ist ideal.

Entscheidend sind Qualität und Ausgewogenheit der Nahrungsmittel – vom Salat, grünen Gemüse, Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch in Maßen, Käse, Nüsse, Sprossen, Microgreens, Algen, Avocados, Kokosprodukte bis zum Oliven- und Arganöl. Auch auf Brot, Kartoffeln und Pasta muss niemand verzichten – nur ein Zuviel davon ist schädlich. Ketogene Ernährung wirkt wie ein Boosterauf das Immunsystemund lässt sich leicht in den Alltag integrieren. Wegen des konstanten Energielevels hat man kaum Hungergefühl, ein besseres Konzentrationsvermögen und einen erholsamen Schlaf. Eine ketogene Ernährung ist auch ein hervorragendes komplementäres Therapeutikum bei Autoimmun- und Krebser-krankungen.

Jetzt verstehen wir endlich, warum in Frankreich die gesündeste Bevölkerung in den Regionen zu finden ist, in denen in fröhlicher Runde Foie gras mit Genuss  verspeist wird und Rotwein (in Maßen natürlich) das bevorzugte Getränk bei Tisch ist. Ja, leben wie Gott in Frankreich – das ist das Glück auf Erden.

Bon appetit! 

Ihr Dr. med. Hansheinrich Kolbe

Facharzt für Gynäkologie, Geburtshilfe und Präventionsmedizin

Ab sofort können Sie meine Kolumnen in meiner neuen Homepage lesen:

www.frauenarzt-kolbe.de

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