(frei nach Giuseppe Verdi)
Oktober 2024
Von jeher ist der Herbst die Jahreszeit, in der sich so manches in unserem Inneren in schlechte Laune verwandelt – nach dem Motto: „So schlimm wie heute war es noch nie. Am liebsten würde ich mich in den Keller legen und sterben. Oder die bessere Wahl: in die Dominikanische Republik emigrieren.“ Seele, Gefühl und sämtliche verwandten Geisteszustände leiden, für deren Instandhaltung eigentlich Yoga und Qi Gong erfunden worden sind.
Nun, zum nachdenklich werden und Jammern gibt es ja 2024 genügend Anlass. Im Vergleich zu manch anderen Ländern hat Deutschland den Anschluss verpasst: Unsere Industrie, der Bildungssektor, das deutsche Gesundheitswesen gehen seit Beginn des 21. Jahrhunderts den Bach hinunter. Personalmangel, fehlende Digitalisierung, die hohen Energiepreise und tsunamihohe bürokratische Hürden lähmen uns tagtäglich. Und eine ungeschickte Asylantenpolitik fördert massiv den Trend zu rechts- und linksextremen Strömungen. Und wie bekannt ist, schaden populistische Parteien dem Wirtschaftswachstum.
Weltweit werden wir Deutschen zur Zeit als unglaubwürdig und scheinheilig wahrgenommen. Kulturinstitutionen wie die Goethe-Institute werden überall kommentar- und ersatzlos geschlossen. In den meisten Regionen der Welt ist Deutschland bedeutungslos geworden, als seien wir „von der geistigen Landkarte unseres (noch) wunderschönen blauen Planeten verschwunden“ (Zitat Nathali Tocci, Chefin der italienischen Denkfabrik Istituto Affari Internazionali).
Eine zwischen Naivität, kognitiver Dissonanz und Gleichgültigkeit pendelnde Geisteshaltung hat in Deutschland – diesem Oberjammergau des vollkaskoversicherten Bedenkentragens als Breitensport geistiger Trägheit – immer mehr die Oberhand gewonnen. Statt einen realen Austausch mit anderen Menschen anzustreben, taucht ein Großteil der Deutschen vermehrt in die Empörungskultur des Internets ein.
Dabei wäre es so einfach, diesem Tal der Tränen zu entsteigen: Warum begreifen wir nicht die aktuelle Schwächephase als Aufruf, die deutsche Tradition der Innovation wieder- wiederzubeleben? Wobei es helfen würde, wenn viele Bürger (und Bürokraten) ihre Generalskepsis gegenüber Neuem überwinden würden und die verlorengegangene Begeisterung für technische Entwicklungen wieder angefacht werden könnte. Erfinder sind ja nun mal cooler als herumlabernde Influencer.
Neben den bürokratischen Hürden ist natürlich oft auch die Finanzierung ein Problem. Mit wieviel Risikokapital die Amerikaner neue Ideen fluten, entsetzt deutsche Innovatoren – oder lässt sie abwandern.
Die Bundesregierung sollte die Finanzierung als politische Aufgabe begreifen und nach Jahrzehnten des Redens endlich einen EU-weiten Kapitalmarkt schaffen, der mittels dicker Investoren-Geldbeutel Ideen zum Fliegen bringt. Und was ist von der deutschen Solarindustrie nach einem viel versprechenden Beginn übrig geblieben? Ausgepowert ist sie.
China freut es.
Wann werden Scholz, Habeck und Co, die bar jeder Selbstkorrekturmechanismen agieren, aus ihrem von Angela Merkel initiierten Winterschlaf erwachen?
Die Aufgabe der deutschen Regierung ist es, durch Handelsabkommen neue Märkte für die Exportnation Deutschland zu erschließen. Weniger Regelungswut in Details zeigen. Die Bürokratie sollte auf das logisch Notwendige beschränkt werden. Ihre eigentliche Aufgabe erfüllen: Ordnung schaffen und nicht schikanieren. Regierungsaufgabe wäre es, massive steuerliche Anreize zum Investieren zu setzen. Mehr für Verkehrswege, Schulen und Netzwerke auszugeben. Erneuerbare Energien verlässlich auszubauen. Unser marodes Gesundheitssystem zu rationalisieren. Es modernisieren.
Wir sollten an dem global enorm wachsenden Hightech-Markt teilhaben, Chipwerke in Deutschland bauen, um bei dem für so viele Branchen essentiellen Halbleitern unabhängiger von Asien werden, um nicht von China erpressbar zu sein. Warum erwirbt unsere Regierung keine E-Automodelle, um sie dann an Menschen mit niedrigen Einkommen, die sich die teuren Elektroautos nicht leisten können, zu verleasen? Es gibt so viele Möglichkeiten für gezielte Industriepolitik, ohne dass es unbezahlbar wird.
Deutschland steht finanziell top solide da: mit einer Schuldenquote von gut 60 Prozent der Wirtschaftsleistung – weit unter den anderen Industriestaaten. Aber: die deutschen Unternehmen produzieren immer weniger! Nach Zahlen aus dem Wirtschaftsministerium wird die deutsche Wirtschaft auch in diesem Jahr schrumpfen, was eine kollektive Depression nährt: Intel wendet sich von Magdeburg ab, VW steckt in der Krise, die Bahn ist meistens unpünktlich. Und die Ampelkoalition macht auch nicht gerade den Eindruck, als sei sie noch Herrin der Situation.
Wir haben eines der teuersten Gesundheitswesen weltweit, stehen aber in puncto Gesundheit nur an 24. Stelle aller Staaten. Auch was die Lebenserwartung betrifft, liegen wir in Europa ziemlich weit hinten.
Aber vielleicht finden wir Deutschen es ja attraktiv, in vielen Bereichen unseres Lebens immer mehr abzugleiten, in allen Netzwerken dauernd zu jammern. Als Belohnung könnten wir uns ja Ordoliberalismus-Ehrenmedaillen cool am Hals baumeln lassen. Oder im Tausch zynische Kolumnen schreiben – wie ich…
Ihr Dr. Hansheinrich Kolbe