LOGIK – Nein danke

„In der Prävention gibt es keinen Ruhm“ – der deutsche Virologe Christian Drosten im Juni 2020

Ich muss, meine lieben Leserinnen und Leser, mit einer Warnung beginnen: Was Sie jetzt lesen werden, wird Sie schockieren! Kleiner Trost für Sie: auch viele Wissenschaftler und Mediziner werden sich schwertun, den Inhalt dieser und meiner nächsten Kolumnen auf Anhieb zu verstehen.

Die medizinische Forschung steuert seit Beginn des Jahrtausends in manchen Bereichen

nicht in optimalen Gewässern. Berauscht durch die gewaltigen Fortschritte der Medizin im vergangenen Jahrhundert – Antibiotika, fast unglaublich erfolgreicheOperationen an Organen, die zuvor für chirurgische Interventionen tabu waren (Herz, Gehirn, Augen), Impfungen gegen Krebs, Genomwissenschaft, Gen-Technologie, Fortpflanzungsmedizin  und Optimierung diagnostischer Verfahren – vergisst zur Zeit die Forschung in manchen Bereichen, Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Auch an neue Tabuszenarien wagt sie sich nicht heran, obwohl sie technologisch und finanziell dazu in der Lage wäre, gravierende Unterlassungsfehler, die den Fortschritt im medizinischen Alltag und Handeln bremsen.

Zu den Bereichen, die im Argen liegen: Seit Jahrhunderten ist die Maxime in der Medizin, dass Krankheiten „bekämpft“ werden müssen. Krebs, Herzinfarkt, Bakterien, Viren – das alles sind unsere „Feinde“, wir müssen sie „besiegen“. Ärzte befinden sich permanent im Krieg gegen Erreger, Aggressoren und Gebrechen aller Art -ein Krieg, in dem wir logischerweise wegen der gewaltigen Überzahl der Angreifer kaum Chancen haben, letztendlich zu gewinnen.

Zugegeben: bis vor kurzen waren diese „Kriegsszenarien eine völlig logische Philoso– phie. Sie stammen aus der Frühzeit des Menschen – bevor der Homo sapiens erstmals in Erscheinung trat. Wenn ein Säbelzahntiger oder ein benachbarter Stamm in feindlicher Absicht angriff, ging es um Sein oder Nichtsein. Entweder man schlug dem Angreifenden den Schädel ein oder der eigene Schädel wurde vom Attackierenden zertrümmert.

Bis zum Ende des Mittelalters gehörte das große Hauen und Stechen zum Alltag. Es hatte sogar seine logische Berechtigung und eine gewisse Legitimation: Menschen konnten durch dieses barbarische Gehabe Land, Reichtum und Macht gewinnen…und zahlten ihren Preis.

Erst seit der Renaissance sind Kriege völlig sinnlos geworden – unvergessen werden das Elend und die Kollateralschäden bleiben, die der 30-jährige Krieg und die beiden Weltkriege über die Menschheit gebracht haben.

Eine solche „Renaissance“ an völlig neuen Erkenntnissen in der Medizin haben wir seit zwei Jahrzehnten. Erstens: Krankheiten entstehen nie aus dem Nichts – sie haben stets eine mehr oder weniger lange Vorlaufzeit – bei bestimmten Karzinomen und Herz-Kreislauferkrankungen sogar Jahrzehnte. Da wir während dieser Vorlaufzeit keine oder nur sehr wenige Krankheits-symptome spüren, glauben wir, „plötzlich“ krank zu werden, „unerwartet“ zu sterben. Was für ein verhängnisvoller Irrtum!Vitalbedrohliche Katastrophen, die seit über 20 Jahren dank der Präventionsmedizin mit geringem Aufwand vermeidbar sind – wenn man sie anwendet. Krank sein dagegen tut weh, bringt allen Beteiligten Leid, macht traurig und ist teuer.

Zweitens: Nur ein geringer Anteil aller Bakterien und Viren stellt für unsere Gesundheit eine Gefahr dar. Der weitaus größte Teil von ihnen sind Freunde und Verbündete. Sie optimieren unser Immunsystem, unseren Stoffwechsel, ja sogar unser Gehirn. Sie helfen uns bei der Abwehr gefährlicher Mikroorganismen. Sie begleiten seit Millionen Jahren unsere genetische Geschichte. So konnten wir  zum Beispiel nur durch retrovirale Elemente in unseren Zellen evolutionsgeschichtlich zu dem werden, was wir sind: Menschen. Bakterien und Viren sind überall. Sie sind uns zahlenmäßig weit überlegen. Sie kontrollieren uns. Sie tanzen mit uns. Gerade ein Zehntel der Zellen unseres Körpers ist menschlich. Die anderen 90 Prozent bestehen aus einer bunten Horde von Bakterien und Viren – dem sogenannten Holobiom(Mikrobiom und Virobiom).

Und was machen wir? Wir sind wie hypnotisiert auf ihre pathogenen (krankmachenden) Eigenschaften fixiert, aber kapieren noch immer nicht, dass die meisten von ihnen unsere besten Freunde, unsere nützlichen und hilfreichen Untermieter sind. Ja, selbst die „bösen Bakterien und Viren sollten wir in die Kategorie „gute Bekannte“ einordnen! Und was macht man mit guten Bekannten, die einem Böses antun wollen?

Nur ein psychisch Kranker würde sie totschlagen oder vernichten wollen. Nein, wenn man intelligent ist, beobachtet man ihr Verhalten, hält sie auf Distanz und meidet sie. Man geht ihnen aus dem Weg. Und siehe da: auf einmal können sie nicht mehr schaden. Sie sind zwar weiterhin existent und bedrohlich, aber in der Isolation ungefährlich für uns.

Nach Ansicht von zehn führenden Virologen aus fünf Kontinenten ist COVID-19 vor allem eine Krankheit unserer LebensweiseWir zerstören vitale Ökosysteme und handeln illegal mit Wildtieren, wodurch wir die Gesundheit unseres Planeten und unsere eigene in größte Gefahr bringen. Verinnerlicht man sich, dass die Gesundheit von Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt eine symbiontische Einheit bildet, kommt man zu der Erkenntnis, dass Killerviren kaum eine Chance haben, für dieses Superteam eine Gefahr darzustellen. Nur: die Schwachstelle in diesem Team ist der Mensch und seine kognitive Dissonanz – er weiß bzw. fühlt, was er falsch macht, tut es aber weiterhin. So haben erst die Vielfliegerei und die überhandnehmenden Kreuzfahrtschiffsreisen Covid-19 zur globalen Bedrohung gemacht.

Die bislang absurdeste Entfaltung menschlicher Fähigkeiten ist: Wir Menschen sind offenbar in der Lage und im Begriff, für ein Wohlsein in der Gegenwart, die Selbstausrot– tung unserer Spezies in naher Zukunft in Kauf zu nehmen. Für mehr und schnellere Nutzeffekte vergiften wir unseren wunderschönen blauen Planeten, uns und die Generationen nach uns.

Sars-CoV-2 ist an sich kein Killervirus. Es ist eher der perfekte Stresstest für unseren Lifestyle. Für unser Gesundheitswesen. Für unsere Wirtschaft. Sogar für Familien: Wer kann vorhersagen, wie viele Scheidungen es wegen der Quarantäne geben wird? Das Virus macht – auch mit Hilfe seines Kollateralschadens Covidiotie“ – die wunden Punkte unserer Gesellschaft sichtbar. Wir haben als Menschheit noch etwas Zeit, aber die Uhr tickt…

                                                                                                                              P.S. Soweit zur Theorie. Wie wir diese Probleme in der Praxis angehen können, folgt in meinen nächsten Kolumnen.

 

Ihr Whistleblower,

Dr. H. Kolbe