THE FOREVER VIRUS

         „Hast du eine Herausforderung gefunden, such dir die nächste – man muss

         sich immer wieder neu erfinden.“  Richard Branson

September 2021

Ich werde immer wieder gefragt, wie ich zu der Covid-19-Problematik stehe. Bevor Sie, meine lieben Leserinnen und Leser, weiterlesen: Sie wissen ja, ich bin ich weder Virologe, noch Epidemiologe, sondern Präventionsmediziner. Aber: ich stehe in engem wissen- schaftlichen Kontakt zu Experten dieser speziellen Fachrichtungen. So frage ich seit über zehn Jahren den Virologen Christan Drosten um Rat, wenn ich mit meinem Virus-Latein am Ende bin. Und mit den BionTech-Chefs Özlem Türeci und Ugur Sahin arbeiten wir, mein Kollege Andreas Spuller und ich, auf dem Gebiet der Karzinomprävention mittels mRNA-Technologie seit drei Jahren zusammen – also bevor der hinterhältige Winzling Corona die Weltbühne betrat.

Als präventiv denkender und agierender Arzt habe ich bereits 2014 davor gewarnt, „dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eine Virus-Pandemie kommen wird“(ausführlich dokumentiert in meiner Kolumne „Präventiophobie“ vom April 2021).

Jetzt aber ist es dringend an der Zeit, eine Langzeitstrategie für den Kampf gegen Covid-19 zu entwickeln: eine globale Strategie für eine globale Bedrohung. Dabei können wir uns leider nicht auf die WHO verlassen – sie ist nicht ausreichend organisiert und finanziert. Ein erster Schritt ist immerhin getan: Die WHO wird von Berlin aus globale Krankheitsverläufe überwachen. Auf dem Gelände der Charité – dort, wo ich geboren wurde – ist kürzlich ein Pandemie-Frühwarnzentrum gestartet worden.

Wir alle müssen – gegen das fatale politische Klima des Nationalismus, wie es China und die USA, aber auch Polen, Ungarn und die Türkei, sowie manche islamischen Staaten praktizieren – diese Pandemie als Beginn eines ewigen Kampfes, als Art Erweckungs- katastrophe betrachten, die den Beginn eines neuen Zeitalters markieren könnte.

Ähnlich wie der Zweite Weltkrieg ein Zeitalter des Friedens in Europa einläutete, sollten wir eine medizinische Revolution anstoßen, in der selbst die schlimmsten Geißeln der Menschheit wie Krebs, HIV, entzündliche Darm- und degenerative Herzkreislauferkrankun- gen und die Pandemien der Zukunft, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im Laufe der nächsten Jahrzehnte kommen, bezwungen werden könnten. Der weltweite Expresseinsatz der mRNA-Technologie und die Voraussage von Millionen von Protein-Strukturen durch DeepMind, einer Tochter der Google-Holding Alphabet, sind entscheidende Schritte in eine nach meiner Einschätzung optimistische, hoffnungsvolle Zukunft, unter der Bedingung,dass…aber das am Schluss dieser Kolumne.

Uns stehen jetzt Werkzeuge zur Verfügung, um Genome umzuprogrammieren, Gentherapien zu entwickeln und mit künstlicher Intelligenz in einer akuten, aber auch zukünftigen Pandemie Mutationen in unbegrenzter Zahl in den Griff zu bekommen. Die Pandemien der Zukunft werden wahrscheinlich von heute noch weitgehend unbekannten Mikroorganismen mit einer höheren Virulenz als Corona verursacht werden. Wir müssen endlich erkennen, dass es sich hier um einen dezidiert asymmetrischen Kampf der Menschheit gegen mikroskopisch kleine Organismen handelt, die durch Mutationen den Menschen immer ein paar Schritte voraus sein werden.

Nur eine weltweite Anstrengung kann unseren wunderschönen blauen Planeten zurück in einen Zustand der Normalität führen. Die entscheidenden Faktoren sind dabei Impfstoffe –aber nur, wenn sie zielgerichtet global eingesetzt werden. Nationales Denken ist in dieser Situation mittelalterlich, nicht zielführend und fatal. Um sich für die nächste Pandemie zu rüsten – es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie kommt – müssen internationale Strukturen geschaffen werden, um einen Ausbruch zu identifizieren, Gegenmaßnahmen zu entwickeln und diese effizient umzusetzen.

So intelligent sich der Mensch als Individuum zeigt, im Kollektiv der Menschheit scheint er in der Tat nicht klug genug, ja gar zu dumm zu sein, um sein Überleben zu sichern. Häufig ist Risikokompetenz der eigenen Gesundheit gegenüber Fehlanzeige. Ein Grund, uns bewusst zu werden, dass wir es in der Hand und wir die Möglichkeiten und Kompetenzen haben, unsere und die Zukunft der Generationen nach uns trotz Pandemie und Klimawandel so zu gestalten, dass wir nicht nur überleben, sondern das Leben auf unserem Planeten auch genießen können.

In dem Science-Fiction-Film „Soylent Green“ – gedreht 1973, er beschreibt die Welt im Jahr 2022 – habe ich folgenden Dialog gefunden: „Als du jung warst, da waren die Menschenbesser.“ Antwort: „Ach, Quatsch. Die Menschen waren immer verdorben, aber die Welt war wunderschön…“

P. S. Ein herzliches Dankeschön an Adrian Kreye für seine Denkanstöße und an meinen Bruder Dr. Hanno Kolbe für seine Unterstützung als Lektor.

Ihr Dr. Hansheinrich KOLBE

Facharzt für Frauenheilkunde, Geburtshilfe und Präventionsmedizin

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